Univ.-Prof. i.R. Dr. Helmuth Horvath (1941 - 2022)

25.10.2022

Die Aerosolgruppe trauert um Herrn Univ.-Prof. i.R. Dr. Helmuth Horvath.

Helmuth Horvath studierte Mathematik und Physik an der Universität Wien sowie Tuba an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien. 1966 schloss er das Lehramtsstudium mit dem Magistergrad ab und promovierte anschließend zum Dr. phil. Im Jahr 1975 wurde er im Fach Physik habilitiert. Von 1980 bis 1999 war er zuerst außerordentlicher Professor und ab 2000 Professor für Experimentalphysik an der Universität Wien. Von 2000 bis 2005 war er Vorstand des Institutes für Experimentalphysik an der Universität Wien. Berufliche Stationen führten ihn u.a. an die University of Washington, Seattle (USA), sowie an die Universitäten von Colorado (Boulder, USA), Santiago de Chile (Chile), Sao Paolo (Brasilien), Kuopio (Finnland), Kyoto (Japan) und Granada (Spanien). Obwohl er 2006 offiziell in den Ruhestand versetzt wurde, war er bis zuletzt weiterhin aktiv in Forschung und Lehre tätig.

Der Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeiten lag auf dem Gebiet der Aerosolphysik und insbesondere der atmosphärischen Optik. Seine wissenschaftlichen Ergebnisse sind in zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen dokumentiert und in der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde höchst anerkannt. Das Thema der atmosphärischen Optik brachte er von seinem mit einem Fulbright Stipendium finanzierten Forschungsaufenthalt in Seattle (1966-1968) an die Universität Wien. Mit seinen Dissertant*innen führte er unter anderem Sichtweiten-Simulationsexperimente durch und konnte zeigen, dass die Sichtweite unter kontrollierten Bedingungen genau messbar ist. Darüber hinaus konnte er die Theorie soweit weiterentwickeln, dass sich Sichtweiten nun auch gut theoretisch vorhersagen lassen. In der Folge entwickelte Helmuth Horvath das „University of Vienna Telephotometer", das bei verschiedensten nationalen und internationalen Messkampagnen in Europa und darüber hinaus verwendet wurde – zuletzt in einem wissenschaftlichen Feldexperiment im Jahr 2017 in Boulder (Colorado, USA). Helmuth Horvath beschäftigte sich nicht nur in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit der Sichtweite, sondern organisierte 1992 und 2006 internationale Konferenzen zur Sichtweite und der atmosphärischen Optik mit hochkarätigen Teilnehmer*innen in Wien.

Eine weitere innovative Arbeit von Helmuth Horvath war das Wiener Dieselexperiment von 13. Juni bis 10. Juli 1984. Ziel des Experimentes war die Charakterisierung von Rußemissionen aus dem lokalen Dieselverkehr. Im Rahmen des Experiments wurde dem Dieseltreibstoff in Wien eine Markierungssubstanz zugegeben, die sich am Ruß anheftet und damit Dieselruß von anderem Ruß unterscheidbar macht. Nach etwa einem halben Jahr Überzeugungsarbeit konnte er die OMV dazu gewinnen, dem Dieseltreibstoff die unbedenkliche Substanz zuzufügen und an die Tankstellen im Stadtgebiet auszuliefern. Die Ergebnisse dieser Studie wurden 1988 in der Zeitschrift „Atmospheric Environment“ publiziert und halfen dabei, den Beitrag von Dieselrußpartikeln zum Lungenkrebsrisiko zu ermitteln. So ergab sich – basierend auf verfügbaren Krebsrisikodaten und den gemessenen Dieselrußemissionen – ein zusätzlicher Lungenkrebstoter pro Jahr auf 100 000 Personen in verkehrsarmen Wohngebieten und 2,4 zusätzliche Lungenkrebstote nahe vielbefahrenen Straßen.

Helmuth Horvath war ein herausragender Experimentator, der mit einfachen Mitteln interessante und wissenschaftlich wegweisende Ergebnisse erreicht hat. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehört ein Review-Artikel zum Thema „Atmospheric light absorption“, der weltweit über 440-mal zitiert wurde. Eine der letzten Arbeiten, an denen er mit dem von ihm gebauten Nephelometer beteiligt war, wurde im Mai 2022 im international anerkannten Journal „Atmospheric Measurement Techniques“ veröffentlicht. Helmuth Horvath war auch an wichtigen Weichenstellungen an der Fakultät für Physik der Universität Wien beteiligt. So unterstützte er als Institutsvorstand u.a. die Berufung von Anton Zeilinger an die Universität Wien, der kürzlich den Nobelpreis für Physik erhalten hat.

Helmuth Horvath war nicht nur ein herausragender und kreativer Wissenschaftler, der das Feld der Aerosolphysik maßgeblich beeinflusst hat. Er war auch ein exzellenter Lehrender, dessen Vorlesungen sich bei den Studierenden großer Beliebtheit erfreuten. Es war ihm wichtig, einerseits die Grundlagen der Physik zu vermitteln, aber andererseits seine Studierenden auch darin auszubilden, Zusammenhänge zu erkennen und kreative Lösungen für experimentelle Herausforderungen zu entwickeln. Seine Vorlesung „Einführung in die physikalischen Rechenmethoden“, die über 20 Jahre hindurch jedes Wintersemester für Erstsemestrige vor der Einführungsvorlesung in die Physik in Blockform stattfand, erleichterte Generationen von Studierenden den Einstieg ins Physikstudium. In den Vorlesungen für Biologiestudierende gelang es ihm, mit einfachen anschaulichen Vorlesungsexperimenten und durch seine klare Darstellung der Grundlagen auch jenen Studierenden einen Zugang zur Physik zu ermöglichen, deren Interessen ganz anders gelagert waren. Seine Liebe zur Musik und Physik hat er in einer Vorlesung zu Musikalischer Akustik kombiniert, die bei den Studierenden sehr beliebt war. Im Jahr 2007 etablierte er die Sommerschule „Basic Aerosol Science“ und organisierte diese von 2007 bis 2015 federführend. Die im 2-jährigen Turnus angebotene Sommerschule ist mittlerweile ein fester Bestandteil in der internationalen Aerosol Community. Noch im Juli 2022 war Helmuth Horvath als Vortragender ein wesentlicher Akteur bei der mittlerweile 8. Sommerschule „Basic Aerosol Science“.

Neben seiner universitären Tätigkeit war er in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien und wissenschaftlichen Vereinigungen tätig und hat sein umfassendes Fachwissen als Gutachter für verschiedene wissenschaftliche Journale eingebracht. Helmuth Horvath war unter anderem Präsident der Österreichischen Biophysikalischen Gesellschaft (1998–2004), der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF, 1999–2000, 2004–2008 und 2016–2020) und der European Aerosol Assembly (EAA, 2018-2020). Außerdem hat er sich viele Jahre in der Kommission zur Reinhaltung der Luft bzw. Kommission Klima und Luftqualität der Österreichischen Akademie der Wissenschaften engagiert. Als langjähriger GAeF-Präsident hatte er sich der Vernetzung der Mitglieder und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verschrieben. Während seiner Präsidentschaft von 2016-2020 hat er den „Letter of the President“ an die GAeF-Mitglieder eingeführt, eine Intensivierung der Aktivitäten der GAeF für ihre Mitglieder gestartet und den Erneuerungsprozess der GAeF in die Wege geleitet. Dabei hat er viele wegweisende Entscheidungen mitgetragen und neue Ideen unterstützt und gefördert. Seiner Initiative folgend vergibt die GAeF seit 2018 den Schmauss Award auf dem Feld der atmosphärischen Aerosolforschung an herausragende junge Wissenschaftler*innen unter 40 Jahren. Helmuth Horvath hat sich in besonderem Maße dafür eingesetzt, dass der Preis nach dem Münchener Meteorologen August Schmauss benannt wird. Schmauss hat nicht nur in seiner 1929 erschienenen Monografie „Die Atmosphäre als Kolloid“ den Begriff „Aerosol“ geprägt und damit einen wesentlichen Grundstein für die Aerosolforschung gelegt, sondern sich auch im Dritten Reich als besonders standhaft erwiesen. Der Schmauss Award wird analog zum Smoluchowski Award, der exzellente Forschung auf dem Gebiet der Aerosoltechnik auszeichnet, jährlich vergeben.

Helmuth Horvath hat sich für Geschichte, insbesondere die Geschichte der (Aerosol-)Physik, interessiert und für die Dokumentation und historische Einordnung von aerosolphysikalischer Forschung engagiert. So hat er 2009 einen Artikel über „Gustav Mie and the scattering and absorption of light by particles: Historic developments and basics“ veröffentlicht und 2010 ein Symposium "History of Aerosol Science" organisiert. Er hat darüber hinaus Abstracts vergangener EAC-Konferenzen digitalisiert und archiviert, zusammen mit Kolleg*innen Nachrufe auf wichtige Persönlichkeiten der Aerosolforschung wie z.B. Othmar Preining und Michel Benarie verfasst, sowie in seiner Zeit als EAA Präsident wichtige Informationen aus historischen EAA-Protokollen zusammengetragen. Außerdem hat er historische Messgeräte gesammelt und sich mit großem handwerklichem Geschick um diese gekümmert.

Helmuth Horvath wurde für seine wissenschaftlichen Arbeiten mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a mit Fulbright Stipendien (1966-1968, 1985-86) für Auslandsaufenthalte in den USA, dem Förderpreis der Stadt Wien (1980) oder dem International Aerosol Fellow Award der International Aerosol Research Assembly 2002. Seit 2009 war er Ehrenmitglied der GAeF. Im März 2019 wurde Helmuth Horvath für seine Verdienste in Forschung und Lehre das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse durch den Bundespräsidenten und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung verliehen. Außerdem war er seit 2020 Träger des Päpstlichen Ritterkreuzes des Silvesterordens.

Helmuth Horvath hat sich nicht nur mit der Umwelt als Forschungsgegenstand beschäftigt, sondern seine Erkenntnisse auch „gelebt“. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, war er z.B. fast nur mit dem Fahrrad unterwegs und hat sein Auto – eine rote „Ente“ – kaum benützt. In seiner Abschiedsvorlesung mit dem Titel „Was mich besonders begeistert“ am 29. September 2006 berichtete er, dass er in den vielen Jahren als Forscher fast nur Begeisterndes und Positives erlebt hat – mit Ausnahme des 14. Februars 2005 – als sein geliebtes Fahrrad, das ihn 30 Jahre lang ans Institut gebracht hatte, weg war. Helmuth Horvath war seiner Zeit oft weit voraus. Während derzeit unter dem Einfluss des Ukrainekrieges und der „Gaskrise“ über niedrigere Raumtemperaturen diskutiert wird, hat er schon vor Jahrzehnten bei Temperaturen von ~18°C gearbeitet, um fossile Brennstoffe zu sparen.

Hervorzuheben sind nicht nur die wissenschaftlichen Arbeiten von Helmuth Horvath, sondern auch seine Persönlichkeit und sein soziales Engagement: Er war ein außerordentlich hilfsbereiter, großzügiger und unterstützender Mensch, der sich immer sehr um seine Studierenden und Mitarbeiter*innen gekümmert und den wissenschaftlichen Nachwuchs gefördert hat. Er hat sich zudem jahrelang im Besuchsdienst in einem Seniorenheim engagiert. Mit Helmuth Horvath hat die weltweite Aerosolgemeinschaft eine herausragende Forscherpersönlichkeit, einen großartigen Kollegen und Freund verloren, der das Feld der Aerosolforschung und insbesondere die Wiener Aerosolgruppe maßgeblich geprägt hat. Wir werden ihn stets in guter Erinnerung behalten.

Bernadett Weinzierl, 28.10.2022

Foto: H. Horvath